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Tarifvertrag und Digitalisierung – Im Gespräch mit DGB-Chef Hoffmann


03. April 2017


Kann es größere Antipole geben als Digitalisierung und Gewerkschaften? Man könnte es glauben, wenn man in einigen Artikeln vorgerechnet bekommt, wie viele Jobs Digitalisierung kosten soll. Der Fokus liegt aus meiner Sicht zu oft auf vermeintlichen Risiken für Angestellte, anstelle auf ihren Chancen. Diese Themen bewegen mich. Ich möchte, dass die Digitalisierung am Ende allen Menschen hilft – besonders in Ihrem Arbeitsalltag. Darum habe ich mich mit Reiner Hoffmann unterhalten, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).

 

Herr Hoffmann, mitunter wird Digitalisierung als Job-Killer beschrieben. Ich sehe das anders. Einmal aus Ihrer Sicht,  was braucht es, damit durch Digitalisierung mehr Menschen gute Arbeit haben als vorher?

Hoffmann: Ganz einfach: Tarifverträge und Mitbestimmung. Mit der Digitalisierung wird den Menschen immer mehr Eigenverantwortung übertragen dafür,  wie sie arbeiten und wann sie arbeiten. Tarifverträge und Mitbestimmung sind hier der passende Rahmen, weil sie die Interessen beider Seiten spiegeln.

 

Eigenverantwortung ist ein gutes Stichwort:  Wenn sich Arbeiternehmer ohnehin vernetzen und organisieren, brauchen wir dann überhaupt noch Gewerkschaften?

Hoffmann: Gegenfrage: Wenn Mitarbeiter sich selbst organisieren und austauschen, brauchen wir dann noch Arbeitgeber, die ihnen Vorschriften machen? Ich hätte nichts dagegen, wenn die Mitbestimmung – auch mit Hilfe digitaler Technik – so ausgeweitet wird, dass hierarchische Führungskaskaden abgebaut werden. Selbst dann braucht es aber Gewerkschaften – oder genehmigen sich die Mitarbeiter in Ihrem Modell auch regelmäßig Lohnerhöhungen, bessere Arbeitsbedingungen und neue Altersvorsorgemodelle?

 

Richtiger Punkt, gekauft. Aber ich sehe bei Eigenverantwortung vor allem auch das Thema Weiterbildung und den Willen, neue Möglichkeiten zu nutzen. Ich würde mir wünschen, dass hier mehr Engagement kommt von allen Seiten, um diese Chance zu nutzen

Hoffmann: Gerne. Dann müssen aber vor allem die Arbeitgeber nachlegen. Ich zitiere eine Umfrage, die dieses Jahr in Davos präsentiert wurde: Danach wissen die Beschäftigten sehr wohl, wie wichtig Weiterbildung gerade jetzt ist, und sind offen dafür. Was fehlt, sind die Angebote der Arbeitgeber.  Die bauen zwar – noch eine Studie – das Angebot allmählich aus, aber qualifizieren besonders gerne Topleute und junge Menschen. Da kommt man in demografisch schwierigen Zeiten  nicht weit mit.

 

Dann also: Fokus auf Bildung für Digitalisierung. Nehmen wir an, das klappt bald und Sie werden um 4 Uhr nachts gefragt: Sehen Sie Digitalisierung dann eher als Chance oder als Gefahr?

Hoffmann: Chance. Genauso wie um 12, um 6 und um 18 Uhr. Weil die Gewerkschaften in den vergangenen 150 Jahren noch aus jeder neuen technologischen Entwicklung eine Chance für die Beschäftigten gemacht haben. Gewerkschaften haben die Beschäftigen aus der Armut der frühen Industrialisierung herausgeführt, und wir werden auch wieder dafür sorgen, dass bei der neuen Technik der Mensch, der Beschäftigte im Mittelpunkt steht, und nicht die Technik.

 

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