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Über Innovationen, wie man sie auf informierte Weise falsch einschätzt und das Potenzial von 5G

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Blog von Sascha Lobo

Bei mir war es e-Ink, elektronische Tinte. So nannte man rund um die Jahrtausendwende die Technologie, mit der elektronisches Papier ermöglicht werden sollte. Bildschirme, die sehr wenig Energie brauchen und bei denen sich das Lesen fast wie mit Papier anfühlt. Seit 1998 wurden e-Ink und vergleichbare Ansätze immer wieder angekündigt, um dann kurz vor dem angestrebten Markteintritt doch wieder in der Versenkung zu verschwinden. Längst ist es eine Selbstverständlichkeit, E-Book-Reader gibt es inzwischen für 29,99€ bei der Drogerie um die Ecke. Aber es gab eine Zeit, in der meine Tech-affinen Freunde und ich uns einen spöttischen Namen für diese Art der Technologie ausgedacht hatten: Godot-Trends, tolle Erfindungen, die oft angekündigt werden, auf die man sehnsüchtig wartet, die aber nie kommen. Glaubt man jedenfalls. (Es gibt in der IT-Welt auch den Begriff “Vaporware”, der ähnlich funktioniert.)

Das Problem mit unserem Spott war nur: Irgendwann war e-Ink eben doch da. Unsere Scherze wurden über Nacht alt und kulturpessimistisch. Selbst wir, die wir uns als Freunde neuer Technik begriffen, hatten nicht richtig verstanden, wie Technologie die Welt verändert: Nur selten mit einem Paukenschlag und noch seltener streng linear, sondern eher durchsetzt mit Rückschlägen, Zweifeln, falschen Abzweigungen. Und wenn sie dann da ist, nach langem Warten, ist man grundsätzlich erstmal enttäuscht. Weil warten und erwarten sich ungünstig vermischen.

Tatsächlich hat das elektronische Papier eine Revolution ausgelöst, nämlich den Siegeszug des E-Books ermöglicht. Das kann man an der Größenordnung im direkten Vergleich erkennen. 2020 lag der globale E-Book-Markt bei rund 18 Milliarden Dollar, der globale Markt für Musik-Streaming lag 2019 dagegen bei rund 11 Milliarden Dollar. Wenn man nicht drauf achtet, bekommt man nur am Rande mit, wie einzelne Technologien nicht nur ganze Märkte, sondern auch die Gesellschaft mitverändern.

Streng genommen verändern gar nicht Technologien die Welt, sondern die Art, wie die Menschen sie verwenden. Das hört sich nach einem fast banalen Unterschied an, aber wir neigen eben dazu, die bloße Existenz neuer Technologien zu überschätzen, die flächendeckende Verbreitung dagegen zu unterschätzen. Was in direkter Linie zu 5G führt und auch zu unserem Podcast darüber, wie 5G die Welt verändern wird.

Denn 5G ist ja schon da, und man kann bisher eher nicht davon sprechen, dass es unser aller Alltag komplett auf den Kopf gestellt hat. Um ehrlich zu sein, bemerke ich davon bisher nur, dass statt LTE jetzt 5G am oberen Displayrand meines Smartphones steht. Die Geschwindigkeit ist erkennbar schneller, wenn man darauf achtet, aber wenn man WLAN gewohnt ist, dann hat man nicht unbedingt ein Erweckungserlebnis.

Und doch lässt sich schon grob abschätzen, dass und wie sich einige Märkte und auch Teilbereiche der Gesellschaft verändern werden. Genau das ist ja Thema des Podcastes, in dem wir die drei 5G-Aspekte in einer Rangfolge behandeln, die mittel- und langfristig am heftigsten wirken werden: Die Top-3-Charts der 5G-Revolutionen.

Denn ja, es handelt sich, wenn man es aus technologischer Sicht betrachtet, um Revolutionen. Die monströse Geschwindigkeit – derzeit sind im Labor bis zu einem Terabit pro Sekunde möglich – ist nur eine Facette davon. Wir haben für den Podcast eine Reihe von Beispielen herausgesucht, einige Klassiker natürlich, aber auch einige weniger erwartbare. Was fast allen gemein ist: Man erahnt das Potenzial, aber der Wow-Effekt fehlt oft. Jedenfalls, wenn man nur die Erzählung hört oder die Bilder sieht.

Auch das ein entscheidendes Muster, denn es gibt mehrere sehr unterschiedliche Innovationsformen. Eine darunter könnte man als iPhone-Innovation bezeichnen. Das hat man damals in die Hand genommen und hat instantan gespürt: Das ändert alles, ich will nie wieder ein Nicht-Smartphone benutzen. Und dann gibt es das, was ich die Sprachnachrichten-Innovation nennen möchte. Irgendwann hat man von der Existenz und Möglichkeit des Versendens von Sprachnachrichten erfahren und war dann zunächst unbeeindruckt. Später mögen sie in den eigenen Alltag Eingang gefunden haben oder auch nicht, aber zu keinem Zeitpunkt konnte man nachts kaum schlafen, weil die Gedanken um die Veränderung der Welt gestrudelt sind. Trotzdem gehört die Sprachnachricht zu den wesentlichen Kommunikationsinstrumenten einer ganzen Generation, die Millennials haben damit das klassische Telefonat asynchron werden lassen, also die nervige Gleichzeitigkeit abgeschafft, ohne die emotionale Nähe des gesprochenen Worts zu verlieren. Es handelt sich für viele, vor allem jüngere Menschen um die intimste Kommunikationsform.

Es gibt eine weitere Innovationsform, die B2B-Innovation, die eher im Hintergrund funktioniert, aber trotzdem große Auswirkungen haben kann. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die weiße LED-Lampe, die erst in den 1990ern erfunden wurde. Bis dahin gab es nur farbige LEDs, die kaum sinnvoll für die Beleuchtung verwendet werden konnten. Seit 2005 sind weiße LEDs zu einigermaßen vertretbaren Preisen zu kaufen, und heute sind rund zwei Drittel aller verkauften Glühbirnen LED-Leuchten. Sie verbrauchen etwa ein Sechstel der Energie herkömmlicher Glühfadenlampen und auch deutlich weniger als Halogen- und sogar Energiesparlampen. Sie stecken überall, vom Flatscreen bis zum Auto, trotzdem sieht man nicht überragend oft begeisterte LED-Kundgebungen in den Großstädten der Welt. Und anders als beim iPhone sind keine tagelangen Zeltlager vor Glühbirnenstores bekannt.

5G fällt zumindest am Anfang deutlich in den am wenigsten spektakulären B2B-Bereich, kann sich aber besonders in Verbindung mit einigen anderen Technologien in die beiden anderen Bereiche vorarbeiten. Wir sprechen im Podcast dabei auch über das Match made in Heaven zwischen 5G und Künstlicher Intelligenz. Das hat einen leicht nachvollziehbaren Grund: Mit 5G ist die Datenübertragung extrem schnell und hat auch eine sehr geringe Latenz (Antwortzeit des Gegenübers). Heute müssen viele Software-Operationen auf dem Smartphone selbst stattfinden, mit 5G kommt die Möglichkeit ins Spiel, dass sich ein Smartphone anfühlen kann wie der Bildschirm eines Hochleistungscomputers. Nur dass dieser Superrechner eben ein paar tausend Kilometer entfernt steht. Plötzlich trägt man nicht mehr einen zugegeben sehr guten Mini-Computer mit sich herum, sondern das Echtzeit-Ausgabegerät eines gigantischen Rechners.

Es gibt eine Geschichte des argentinischen Großschriftstellers Jorge Luis Borges namens “Das Aleph”. Darin spricht er vom Aleph, einem Punkt, von dem aus man jeden anderen Punkt im Universum zu jeder Zeit gleichzeitig sehen kann. Vielleicht fühlt sich die Paarung aus 5G, Künstlicher Intelligenz und dem wichtigsten Gerät des digitalen Kapitalismus, dem Smartphone, ungefähr so an: Wie ein magischer Spiegel in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft gleichzeitig. Weil das Gerät in der Hand so machtvoll werden kann. Wir können nur erahnen, was das etwa auf Gesichtserkennungssoftware bezogen bedeuten wird.

Der leichte Grusel, der dabei für manche mitschwingen mag, hat ein paar schwierige Geschwister. Wir sprechen im Podcast auch die Verschwörungstheorien an, die rund um 5G blühen. Meiner Ansicht nach liegen diese oft sehr irrationalen, technisch unmöglichen Einlassungen – wie etwa dass Corona über 5G übertragen werde – auch an einem massiven Informationsmangel. Eskalierende Vermutungen wachsen am besten auf dem Humus des Nichtwissens, verbunden mit etwas Angst und der Bereitschaft zur Irrationalität landet man schnell bei abstrusen Erzählungen über 5G mit den Zutaten “Bill Gates”, “mörderischen Minidrohnen” und “Coronastrahlung”. Womit sich so ein bisschen der Kreis des Podcastes schließt, denn genau diesem Informationsmangel, der Angst und auch der Irrationalität versuchen wir zu begegnen. Viel Freude beim Podcast!

Authors

Ilja Freund

Communication Lead Germany

EMEAR Communications

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